Corona auf den Philippinen

Derzeit sind alle Nachrichten v.a. auf Deutschland, die EU und wesentliche G20-Staaten gerichtet. Von Ländern wie den Philippinen hört man in unseren Medien nicht viel. Daher hier ein kurzer Überblick:

Alle unsere Ausbildungszentren waren seit Mitte März 2020, kurz vor Ende des Semesters geschlossen, da in allen philippinischen Regionen mehr oder minder starke Ausgangsbeschränkungen bestehen, zu denen auch die Schließung aller Schulen bis auf unbestimmte Zeit gehört. Seit Ende August 2020 konnten die ersten Ausbildungszentren wieder mit entsprechenden Hygienekonzepten eröffnen. Zuerst mussten die Jugendlichen des im März abrupt unterbrochenen Semesters dieses abschließen, bevor dann zwischen September und November mit deutlicher Verspätung die neuen Ausbildungsjahrgänge beginnen konnten. Bis jetzt (Stand Dezember 2020) haben jedoch immer noch nicht alle Zentren wieder ihre Arbeit aufnehmen können. In 4 Zentren konnten wir im November 2020 wieder neue Stipendien vergeben.

Unsere Zentren sind in der Krise sehr unterschiedlich und kreativ mit den Einschränkungen umgegangen. In Minglanilla, einem Zentrum, dass sich ausschließlich um junge Frauen kümmert, 10% von ihnen im Rahmen einer Rehabilitation nach Befreiung aus den Abhängigkeiten im Rotlichtmilieu, hat sogar versucht eine Art Online-Learning zu entwickeln, was natürlich bei der eingeschränkten „Wohn-Infrastruktur" äußerst ambitioniert ist. Neben unsicherem und langsamen Internet fehlt oft auch eine ruhige Lernatmosphäre zu Hause in den kleinen Behausungen für die meist großen Familien. In der Region Cebu, die neben Manila besonders streng durch Corona und den konsekutiven Lock-Down betroffen war, hat das dazu geführt, dass sie schon im August als erstes Zentrum überhaupt wieder öffnen konnten. Natürlich gibt es dabei viele Probleme, wie wir aus dem „hoch-digitalisierten Deutschland" wissen, aber es geht erst einmal weiter für die Jugendlichen.

In Punta Princesa, Dumangas und Mati wurden die Jugendlichen in 2 Gruppen eingeteilt, die sich im 2-Wochen-Takt in den Zentren ablösen. Die eine Hälfte erhält mit Abstand und in noch kleineren Gruppen Präsenzunterricht in den praktischen Fächern und vertieft zu Hause selbst angeeignete theoretische Kenntnisse, die andere Hälfte muss in neu geschaffenen Arbeitsheften einen Großteil der Theorie zu Hause durcharbeiten.

Die Zahlen der Bewerbungen an den einzelnen Zentren sind im Vergleich zu vor der Krise deutlich zurückgegangen, da es sich viele Familien trotz unserer Übernahme von Studienge-bühren und z.T. auch Ernährungspauschalen nicht leisten können, auf die Arbeitskraft der geförderten Jugendlichen für 1-2 Jahre zu verzichten, bis diese die Ausbildung incl. „On-the-Job-Training" beendet haben. Die Not erlaubt es vielen Familien nur kurzfristig zu planen, quasi „von der Hand in den Mund zu leben". Die Sorge um die Ernährung und Versorgung der Großfamilien am nächsten Tag und in der nächsten Woche lässt sie den langfristigen Wert der Ausbildungen nicht erkennen. Sie wissen nicht, wie sie die Zeit finanziell überbrücken sollen, die es dauert, bis eine solche Ausbildung z.B. zum Automechaniker, zur Maschinenschlosserin, zum Tischler oder zur Elektrikerin ... abgeschlossen ist. Der auf den Philippinen hoch angesehene Abschluss in den Berufsausbildungszentren der Salesianer, die nach deutschem dualen System ausbilden, ist vor Ort sehr viel wert, die Absolventen sind begehrt, der langfristige Lohn ist um ein Vielfaches höher als die Tagelöhnertätigkeiten, für die viele jetzt von ihren Familien gebraucht werden.

Die Zahlen auf der Homepage der John Hopkins University lesbaren Zahlen über Infektionen und Todesfälle auf den Philippinen sind mit Sicherheit nur ein Bruchteil der realen Zahlen, bei fehlenden Testmöglichkeiten und spätem Beginn von Testungen und Kontaktbeschränkungen. Wie in anderen uns durch die Medien bekannteren Ländern mit rechtsgerichteten und populistischen Regierungen erfolgte hier zunächst eine Verharmlosung der Gefahr ohne Einschränkungen der engen wirtschaftlichen und touristischen Kontakte gerade mit China und eine späte dann überschießende Reaktion. Die Ausgangsbeschränkungen auf den Philippinen verursachen für den Großteil der armen Bevölkerung sehr viel größere Kollateralschäden als bei uns. Quarantäne in den dicht bevölkerten Philippinen mit dem größten Bevölkerungswachstum in Südostasien (106Mill. Einwohner 2018, Bevölkerungswachstum +1,7%/a) bedeutet dann, dass gerade in den Slums der Großstädte die durchschnittliche philippinische Familie mit 6 Kindern + ggf. weiteren Familienmitgliedern der Großfamilie in Ein-Raum-Verschlägen eingesperrt sind, die dicht an dicht zum nächsten Verschlag stehen. Die wenigsten haben feste Arbeitsverhältnisse und wenn jemand Arbeit hatte, dann oft als Tagelöhner. Mit der Quarantäne fällt jegliches Familieneinkommen weg, Kurzarbeitergeld und staatliche Hilfen sind nicht vorhanden, Rücklagen fehlen. In Großstädten wurde freie Essensausgabe versprochen aber nur zum Teil durchgeführt. Immer wieder liest man von den Philippinen, dass die Bevölkerung mehr den Hungertod, als das Coronavirus fürchtet. Präsident Duterte, der uns in Dtl. schon durch seinen kompromisslosen Kampf gegen Drogenkriminalität und politische Gegner bekannt ist, hat die Krise erneut genutzt, um sich erweiterte Vollmachten zu verschaffen. Ähnlich kompromisslos wie in anderen Dingen, hat er angedroht, die Ausgangssperre mit Waffengewalt zu überwachen. Polizei und Militär wurden dazu mit einem Schießbefehl ausgestattet.

Stellen Sie sich Quarantäne in den folgenden Behausungen vor...

Slum in Pasil; (c) S. Spinner

Hütten direkt am Wasser

Hoffnung besteht, dass die überwiegend junge Bevölkerung auf den Philippinen (Durchschnittsalter 22,7 Jahre, 35% der Bevölkerung ist unter 14 Jahre alt, weniger als 4% der Bevölkerung sind über 65 Jahre) von breitflächigen und schwerwiegenden Infektionen verschont bleibt. Allerdings leidet ein Großteil der Bevölkerung an armutsassoziierten Grunderkrankungen (Tuberkulose, COPD bei offenem Feuer zum Kochen in den Wohnungen, Diabetes, art. Hypertonus...), die wiederum ein höheres Risiko für schwere Covid-19-Infektionen darstellen, und ist bei fehlender Krankenversicherung schlecht oder minderversorgt. Das i.b. im ländlichen Raum schlecht ausgestattete Gesundheitswesen ist natürlich bei weitem nicht vorbereitet auf einen Ansturm intensivpflichtiger Patienten.

Parallel ist bei allen Recherchen zum Thema immer wieder zu lesen, wie Deutschland und Österreich in der Coronakrise aktiv und mit Sonderzulassung philippinisches Pflegepersonal für deutsche und österreichische Intensivstationen abwerben und herholen. Für die Pflegekräfte selbst und deren Familien ist das wie ein Lottogewinn, für den philippinischen Staat sind die vielen ausländischen Fachkräfte auch in anderen Bereichen mit den ins Land zurückfließenden Geldern die größte Einnahmequelle. Für das lokale Gesundheitssystem und die Versorgung der eigenen Bevölkerung ist es ein „Exitus". Zusammenfassend kann man diese schwierigen Konstellationen nur lösen, wenn das Grundproblem der Armut langfristig und an den Wurzeln angegangen wird.

Ich hoffe, dass wir als GGAP e.V. mit unserer Förderung von nur lokal gefragten Berufen und im Ausland nicht anerkannten Ausbildungen hier einen kleinen Tropfen auf den heißen Stein beitragen, auch wenn uns in der derzeitigen Krise mit der Schließung der Berufsschulzentren vorübergehend die Hände gebunden sind.

Auch wenn Weihnachten mehr denn je in den eigenen 4 Wänden stattfindet, so hoffe ich, dass unser GGAP-Bericht ein wenig aus diesen 4 Wänden herausgeführt hat. Ein Blick auf die Philippinen relativiert vielleicht so manche Einschränkung und Unannehmlichkeit bei uns. Wir können nur hoffen, dass die Krise bald ein Ende hat und vielleicht am Ende auch positive Nebeneffekte für ein größeres Miteinander und Füreinander auf dieser Welt mit sich bringt.

Lepra-Museum auf der Insel Culion

Die Philippinen haben so ihre „Erfahrungen“ mit Seuchen. Hier ein Foto aus dem Lepra-Museum auf der Insel Culion auf der von 1907-1956 die zeitweise größte Leparakolonie der Welt bestand. Wer an der seinerzeit nicht heilbaren Lepra erkrankte, kam hier in „lebenslange Quarantäne“, das galt auch für die freiwilligen medizinischen Helfer, häufig Ordensleute. Noch immer gehören die Philippinen zu den wenigen Hochprävalenz-gebieten für Lepra.